»Man hat überhaupt kein Gefühl, dass da irgendeine Kommunikation stattfindet«

Interview mit Florian Gärtner für das Buch Proben für Film
von Jan Krüger, November 2015  (unbearbeitete Fassung)

 

JK: Wie laufen Proben mit Schauspielern bei dir typischerweise ab?

FG: Was ich meistens versuche, ist, die Proben in kleinere Gruppen aufzuteilen. Dass ich mit Schauspielern, die etwa Mutter und Tochter spielen sollen, oder Arbeitskollegen, in kleineren Gruppen die Szenen im Einzelnen durchgehe. Das ist aber meistens relativ kurz – man sitzt einen Nachmittag oder zwei zusammen am Tisch. Das sind jetzt nicht wirklich klassische »Proben«...

Aber schon »Leseproben«.

Genau, Leseproben. Wo es darum geht: Was denken die Figuren, was fühlen sie, in welche Richtung geht das, was ist so die Entwicklung? Dass man über den Bogen der Figur spricht. Und dann auch vielleicht über Sachen, die die Schauspieler doof finden. Das ist deutlich angenehmer im Vorfeld am Tisch, als wenn beim Dreh das ganze Team drumherum steht. Neulich hat mir wieder eine Schauspielerin gesagt: »Proben sind immer billiger, als wenn zwanzig hoch bezahlte Leute warten müssen.«
Die paar Male, wo wir schon vorher Stellproben gemacht haben, habe ich gemerkt, das ist schnell hinfällig. Man ist bei den Proben in so einem abstrakten Raum, da sind keine Requisiten da... Und beim Dreh, sobald Requisite und Ausstattung dazu kommen, ist dann doch wieder alles ganz anders.
Zumindest ist man nach den ersten Proben aber schon auf einer Wellenlänge mit den Schauspielern, und weiß, worauf man hinwill. Wobei auch das manchmal nicht die Diskussionen am Set ersetzt, oft kommen da auch noch neue Sachen, fällt den Schauspielern noch irgendwas ein...

Nochmal konkret zu den Leseproben: Hast du das Gefühl, dass das oft gut funktioniert? Oder gibt es da auch schon Stolpersteine, Kommunikationsprobleme?

Meine Erfahrung ist, dass die Schauspieler oft schon sehr dankbar sind, wenn das überhaupt gewollt wird. Wenn ich Schauspieler frage, was sie sich wünschen vom Regisseur, dann sagen sie sehr häufig: »Dass man sich vorher trifft!« Also dass man überhaupt zusammensitzt und spricht, das ist für viele schon etwas, worüber sie sich sehr freuen.
Tja, wie spricht man da miteinander? Meistens frag ich zuerst »Ihr habt doch gelesen – was denkt ihr denn?«, damit man ins Gespräch kommt. Für ›SexUp – Jungs haben‘s auch nicht leicht‹ (2003) habe ich damals drei richtige Probewochenenden gemacht mit den Jungs. Da ging es darum, dass man aus drei Jugendlichen, die sich nicht kennen, Freunde macht. Dass die zusammen spielen, und man spürt, die haben eine Vorgeschichte, da ist was, das sie verbindet. Das ist ein großes Ziel für mich, wenn ich probe: dass eine Vertrautheit entsteht – da ist dann auch fast ein bisschen egal, was man konkret macht. Und das finde ich eine der Stärken des Films, dass man die Freundschaft der drei wirklich spürt, dass man das glaubt. Da hat sich gezeigt, wie wichtig diese Vorbereitung war, dass die wirklich als Trio zusammenwachsen konnten. Sie haben durch die Vorbereitung eine gemeinsame Erfahrung gemacht.
Ich habe mal mit Anja Dihrberg gecastet, und man guckt ja immer diese schrecklichen Casting-Bänder an – eine Verhörszene nach der anderen – und Anja sagte dann, nach einer Szene, wo eine Familie an einem Abendbrottisch sitzt: »Ich hab das Gefühl, die kennen sich überhaupt nicht!« Und ich dachte: Stimmt!... Man sieht ja wirklich so viele Filme, wo die Leute am Tisch sitzen, und der eine sagt seinen Satz, und die andere sagt ihren Satz, und man hat überhaupt kein Gefühl, dass da irgendeine Kommunikation stattfindet...

Du erzählst viel von Sex Up, dabei hast du doch seitdem über zehn Filme gedreht?...

Bei Sex Up haben wir noch am intensivsten geprobt. Ich habe es danach auch noch versucht, aber meistens war die Zeit nicht mehr da. Und an Wochenenden... Mit den Sperrterminen... Eine Schauspielerin hat mir auch explizit gesagt, Proben, das macht sie nicht so gerne. Das ist dann so abstrakt, sie ist nicht am Set, sie ist da nicht in der Stimmung, und dann weiß sie nicht...

Gibt es das nach deiner Erfahrung – öfter prinzipielle Vorbehalte gegenüber Proben?

Viele sagen erstmal: »Find ich super«. Viele haben ja auch Theatererfahrung, kennen das. Aber vor allem große Fernsehschauspieler, die einen Film nach dem anderen drehen, die vertrauen lieber drauf, dass sie spontan am Set alles wuppen. Mit Axel Milberg (als Tatort-Kommissar) habe ich etwa nur eine Leseprobe gemacht, mit allen zusammen, in der großen Runde...
Für meinem nächsten Film (Schwarzbrot in Thailand, 2017) wollte ich eigentlich fünf Tage non-stop intensiv proben. Aber dann hieß es auch gleich: »Och Gott, Übernachtungskosten, und zu teuer, wir haben doch kein Geld...« Und jetzt sind es eben drei Tage geworden, mit dem letzten Nachmittag als Gesamtprobe für alle.

Was für ein Rahmen wird das sein?

Wir sitzen an einem Tisch, unten bei der Produktionsfirma im Besprechungsraum... Meistens waren die Proben bisher auch in solchen Räumen, die entsprechend ›liebevoll‹ eingerichtet waren. Also Büroräume, wo gerade nichts drin steht, wo dann demnächst die Aufnahmeleitung einzieht...
Das ist auch wichtig, man muss das gut vorbereiten, man muss sich wirklich viele Gedanken machen vorher. Ich habe es auch ein- zweimal gemerkt, dass ich einfach nicht richtig vorbereitet war, auch weil überhaupt keine Zeit, so viel anderes zu tun war. Und dann sitzt man da und weiß jetzt nicht, was man machen soll mit den Schauspielern, und ein halber Tag wird ganz schön lang...

Letztlich bespricht man dann das Offensichtliche. Und das ermüdet...

Man redet dann viel über die Szene, probt es dann 50 Mal, und dann, wenn man dreht, ist plötzlich alles ganz anders, und man weiß gar nicht was man da vorher gemacht hat... Man kann Sachen auch ›über-proben‹ – irgendwann ist die Szene dann auch ›tot‹…
Für mich ist das Wichtigste bei den Proben, dass ich und die Schauspieler ein Vertrauen aufbauen können, ein gemeinsames Gefühl für die Figuren, ihre Beziehungen untereinander, eine gemeinsame Vergangenheit. Wie jetzt bei meinem neuen Film das Ehepaar: Was ist das für ein Paar, wie oft haben die Sex, was haben die zusammen schon erlebt? Dass sie da emotional anknüpfen können, wenn gedreht wird. Und beide auch schon wissen, was das für eine Situation ist.

Ich weiß, dass es Standards für die Zahl der Drehtage gibt. Jetzt sagst du, fünf Probentage sind schon schwierig. Dabei bekommt ja niemand ein Honorar...

Stimmt schon. Aber die Schauspieler müssen ja oft auch anreisen, vielleicht sogar fliegen, und dann irgendwo übernachten. Es ist meistens so, dass alle zuerst sagen: »Ja gern! Ja klar, machen wir...« Und dann ist aber keiner dahinter. Und wenn es dann dazu kommt, Termine zu machen, dann gibt‘s nur noch die zwei oder drei Tage…
Die Bereitschaft der Produktion ist erstmal schon da. Nur kümmert sich oft keiner richtig drum. Die denken: »Ach so, das wollten wir ja auch noch machen«. Und andere Sachen sind dann doch immer wichtiger. Ich sag mir jedes Mal, ich muss da mehr hinterher sein... Diesmal hab ich gesagt: diese eine Woche will ich haben, bitte blockt das ganz früh! Aber dann gab‘s doch wieder Terminprobleme.

Erzähl mal von deinen Erfahrungen beim Casting. Was ist dir wichtig? Wie gehst du sowas an?

Die Realität ist meistens, dass man sich diese Bänder anguckt. Und das ist harte Arbeit, denn die Ausschnitte sind häufig aus schlecht geschriebenen und schlecht inszenierten Filmen, unendlich viele Verhörszenen! Ich freue mich dann immer, wenn Leute selbst etwas für ihr Band drehen. Eine kurze Improvisation oder so etwas, ein Song, eine persönliche Vorstellung, wo ich das Besondere an der Person sehen kann. Dann ist der Schauspieler gleich wieder interessanter für mich. In der Praxis besetzt man oft jemanden nach Band, und dann trifft man sich, und spricht dann über die Rolle. Meistens sage ich dann: »Die Figur ist klein, aber bring mit, was du mitbringen kannst...« Man weiß ja, es gibt kaum etwas Schlimmeres, als wenn man als Fremder an ein Set kommt und direkt drehen muss.

Aber wie gehst du für die Besetzung der Hauptrollen vor?

Beim Fernsehen hat oft die Redaktion schon Leute im Kopf. Bei der letzten Serie war zum Beispiel schon alles fertig besetzt. Sonst gibt es manchmal eine Liste mit Leuten, die schon im Gespräch sind.

Heißt das, du lädst unter Umständen noch nicht einmal den Hauptcast zusammen zum Vorsprechen ein?

Eher selten. Es wird schon gemacht, aber bei namhaften Leuten oft auch nicht. Bei Paaren, da mache ich manchmal so ein ›Chemie‹-Casting: Wer passt wie zusammen?

Und da lässt du Szene spielen, oder improvisierst du?

Oft schreibe ich sogar extra Szenen. Da frage ich mich dann, was will ich da am ehesten sehen für die Beziehungen? Oder schreibe eine Szene um. Und dann versuche ich auch meistens, kurz was zu improvisieren. Dass man guckt, was kommt von denen?

Hast du viel Erfahrung mit Improvisaton? Fühlst du dich da sicher, macht dir das Spaß?

Es macht mir Spaß, zuzugucken, meistens. (lacht) Man muss klare Vorgaben geben, das ist wichtig. In meiner eigenen Theaterarbeit fand ich Improvisation immer ganz schrecklich. Ich war immer jemand, der sehr an seinem Text gehangen hat. Wenn ich dann nicht wusste, wie es weitergeht, bin ich regelmäßig in Panik ausgebrochen. Das war erst relativ spät, dass ich da eine Sicherheit gefunden habe.

Wie organisiert du deine Proben am Set? Kommt das auf die Dispo?

Ich bin da auch noch am Suchen. Der Standard ist ja: erst mal Proben, und dann Maske, Kostüm, Licht. Aber oft ist dann, wenn die Schauspieler zurück kommen aus Maske und Kostüm und das Licht steht, doch wieder alles ganz anders, die Energie und die Leichtigkeit aus den Proben ist weg... Letztes Jahr beim Tatort haben wir es deswegen so gemacht: Maske, Kostüm, Grundlicht, dann Proben. So dass man, wenn man fertig geprobt hat, gleich drehen kann. Das ist eigentlich das, was ich viel effektiver fand. Dann schlafen nicht alle ein, zwischendurch, wenn geleuchtet wird.
Ich glaube Steven Soderbergh macht es auch so, dass er langsam vom Proben ins Drehen übergeht. Also er probt die Szene einmal, dann stellt er da schnell noch einen Scheinwerfer hin, dann probt er nochmal, dann sagt er: »Komm, lassen wir mal die Kamera laufen...« Man entwickelt was, und irgendwann ist man kurz davor, aber wenn dann erstmal alle in Maske und Kostüm verschwinden und anfangen zu tratschen, während die anderen ihr Licht aufbauen – da geht immer so eine Energie weg vom Drehtag... Dabei sollte, idealerweise, ein Dreh immer wie eine Art abgefilmter Probe sein, die offen ist in ihrem Ausgang – was natürlich real nicht geht, wegen Kamera, Schärfe, Licht...
Ich habe auch gelernt, dass man das Team erziehen muss – dass klar die Präsenz der Schauspieler im Vordergrund steht. Es ist ja oft so: man will anfangen, ist kurz vor dem ›Bitte‹, und dann sagt der Kameramann: »Ah, Moment!«, und will noch hier einen Scheinwerfer ausrichten, und dort... Da merkt man sofort, wie bei den Schauspielern die Energie runtergeht, die Konzentration schwindet. Das war jetzt auch im Sommer wieder so – da muss man als Regisseur dann sagen: »Das geht nicht!« Es muss so funktionieren, dass die Schauspieler wissen, sie haben jetzt fünf Minuten, um sich vorzubereiten, und dann wird auch wirklich gedreht.
Jetzt beim Tatort (»Borowski und die Kinder von Gaarden«, 2015) habe ich das anders gehandhabt: kaum proben, die Szene nur grob vorbesprechen... Ich wollte sehen, wie das ist, wenn die Schauspieler nicht wissen, wo jemand als nächstes auftaucht.

Und wie waren deine Erfahrungen?

Interessant. Wir haben viel am Stück durchgedreht, was für den Schnitt schwierig war. Für ein paar Stellen wäre es hinterher schön gewesen, wenn man das ein bisschen aufgelöst hätte... Aber vom Spiel war es gut. Axel Milberg, der Proben schrecklich findet, der nimmt das selber in die Hand – der macht in jedem Take etwas anders. Der sucht innerhalb der Situation nach Möglichkeiten – manchmal ist es nicht auf den Punkt, aber oft eben auch grandios.

Das ist viel wert, wenn jemand solche Angebote macht...

Man braucht allerdings als Regisseur dann auch die Energie, das zu sehen... (lacht)

Wie würdest du deine Rolle am ehesten beschreiben? Gegenüber Schauspielern? Wo kommt so etwas wie eine Autorität her?

Es gibt diese Idee: den Rahmen bieten, damit die Schauspieler die bestmögliche Leistung bringen. Manche brauchen eher etwas, das ich nicht geben kann – eine starke Führung, so eine ›harte Hand‹, glasklare Ansagen...
Also, wenn ich versuche, autoritär zu werden, geht das oft nach hinten los. Es gibt manche Schauspieler, mit denen kann ich daher einfach nicht so gut arbeiten. Grundsätzlich sehe ich meine Aufgabe eher darin, eine Ebene von Vertrauen herzustellen, so dass die Schauspieler auch persönliche Seiten von sich zeigen können. Dass sie etwas Wahrhaftiges im Spiel haben.

Das wiederum wird ja im TV nicht unbedingt gefragt oder geschätzt...

Das stimmt. Aber dem Zuschauer ist es nicht egal. Ich bin überzeugt: Wenn der Zuschauer spürt, dass ihn die Geschichte direkt angeht, dass sie konkret mit ihm und seiner eigenen Lebenserfahrung zu tun hat, dann bleibt er dran. Dann berührt ihn der Film auf einer tieferen Ebene. Das hat nicht unbedingt mit einer ausgefallenen Story und großem Tamtam zu tun, sondern mit Genauigkeit, Details, mit Momenten der Wahrhaftigkeit. Und das liegt dann hauptsächlich an den Schauspielern.

Florian, danke für das Gespräch!

 

Florian Gärtner ist Regisseur und Drehbuchautor. Er gehört zu den Mitgründern des Berliner Grundtheaters. Seit 1996 dreht und schreibt er eigene Spielfilme; zu seinen ersten Produktionen gehören Drachenland (1999) und Sex Up – Jungen haben’s auch nicht leicht (2003). 2015 drehte er die Tatort-Episode »Borowski und die Kinder von Gaarden«, 2017 für die ARD Schwarzbrot in Thailand.